Der Zug ins Traumland

„Ha-Ha-Ha-Tschi!“. Das Sandmännchen nieste laut und putzte sich dann sein kleines Näschen, das so rot wie eine überreife Tomate war. Es konnte sich kaum erinnern, jemals eine solch starke und böse Erkältung gehabt zu haben. Seine Nase lief ununterbrochen, sein Hals tat bei jedem Schlucken schrecklich weh, sein Kopf schmerzte so stark, dass es sein rotes Mützchen nicht mehr tragen konnte und ein heftiger, bellender Husten hatte sich irgendwo zwischen seinem Hals und seinem Bauch eingenistet. Das Sandmännchen legte sich erschöpft in sein Bettchen und rief seinem Freund, dem runden Mond, zu, dass es beim besten Willen nicht arbeiten gehen könnte.

„Aber wer bringt den Menschen die Träume, wenn Du krank bist?“, fragte der Mond besorgt.

„Ich weiß es wirklich nicht, lieber Mond, aber Du siehst ja selbst, dass ich Ha-Ha-Ha-Tschi absolut und total krank bin!“, krächzte das Sandmännchen, zog sich die Decke über die Ohren und schlief ein.

Der Mond blickte die Sterne ratlos an, aber auch sie wussten keine Lösung. Währenddessen breitete sich unten auf der Erde ein kleines Chaos aus. Alle Kinder, die gewöhnlich zu dieser späten Zeit friedlich schlummerten, hüpften durch ihre Betten, weil sie nicht einschlafen konnten.

„Wo bleibt nur das Sandmännchen?“, fragten sich die Eltern und hielten nach ihm Ausschau. Weit und breit war jedoch kein Männchen mit roter Zipfelmütze und einem Säckchen voller Träume zu sehen.

Der Mond überlegte angestrengt, aber es fiel ihm keine Lösung ein, wie er die Menschen zum Schlafen bringen konnte. Da kam eine schimmernde Sternschnuppe vorbei und fragte den Mond:

„Wie sind die Kinder denn früher eingeschlafen, als das Sandmännchen selber noch klein war?“. Der Mond warf seine Stirn in runzlige Falten und dachte laut nach:

„Früher? Früher gab es doch immer diesen…? Hmmm! Ob es den noch irgendwo gibt?“. Die Sterne lauschten gespannt.

„Was denn, lieber Mond, was denn?“, wollten sie wissen, aber der Mond verriet ihnen nichts.

Mit seinen riesigen Augen suchte er umher, stellte sein Licht ein bisschen heller, so dass er besser gucken konnte und entdeckte schließlich am Rande des Traumlandes einen kleinen, mit morschen Holzbrettern verriegelten Schuppen.

„Aha, da ist er ja!“, rief er erfreut und wies die Traumtrolle an, mit aller Kraft den alten Schuppen von seinen Brettern zu befreien. Als das letzte Holzbrett krachend zu Boden fiel, sprangen die Türen schwungvoll auf. Eine alte, rostige Dampflok mit roten Rädern und schwarzem Schornstein kam zum Vorschein.

„Der Zug ins Traumland!“, rief ein alter goldener Stern, der sich daran erinnerte, dass früher eine alte Dampflok durch die Schlafzimmer der Menschen fuhr und sie einlud, mit ihr ins Traumland zu fahren.

„Das ist die Lösung!“, rief ein anderer Stern.

Der Mond grinste zufrieden und wies die Trolle an, den Traumzug mit ausreichend Kohle zu bestücken, damit er den weiten Weg über die gesamte Erde bis zurück ins Traumland schaffen würde. Als alles bereit war, setzten die Traumtrolle den Zug in Bewegung. Dampfend und quietschend fuhr er aus dem Schuppen, ein Wagon nach dem anderen, immer mehr. Er verließ das Traumland und erreichte die Erde. An jedem Haus machte er Halt und lud die müden, gähnenden Menschen in seine warmen Waggons. Er fuhr und lud ein, fuhr und lud ein. Dann düste er zurück ins Traumland und ließ die Menschen auf der weiten Wunderwiese wieder heraus. Mitten auf dem grünen Gras stand der mächtige Traumbaum, von dem sich jeder Fahrgast seinen Traum pflücken durfte und unter dem er anschließend friedlich einschlief. Erst am nächsten Morgen erwachten alle Menschen wieder und zwar in ihren eigenen Betten.

Auch das Sandmännchen erwachte am Morgen. Sichtlich erholt, streckte es seine kleinen Arme von sich und entschuldigte sich beim Mond, dass es ihn am Abend zuvor mit der ganzen Arbeit allein gelassen hatte.

Der Mond, der gerade selber auf dem Weg in sein Bett war, lächelte dem Sandmännchen zu und erzählte ihm stolz von dem alten Traumzug, der die Menschen doch noch ins Traumland gebracht hatte.

Das Sandmännchen lauschte den Worten des Mondes gespannt und war erleichtert, dass alles ein gutes Ende genommen hatte, dann sagte es:

„Aber heute Abend bringe ich den Menschen wieder die Träume!“.